Gemeinsamer Appell an die Bundesregierung

Gemeinsamer Appell an die Bundesregierung vom 11. Mai 2020

Erstunterzeichnende Verbände und Initiativen in alphabetischer Reihenfolge:

  • Aktion Tanz – Bundesverband Tanz in Bildung und Gesellschaft e.V.
  • art but fair e.V.
  • BFDK – Bundesverband Freie Darstellende Künste e.V.
  • Bundeskonferenz Jazz
  • buzz – Bundesverband Zeitgenössischer Zirkus e.V.
  • Dachverband Tanz Deutschland e.V.
  • Deutsche Jazzunion e.V.
  • DTKV – Deutscher Tonkünstlerverband e.V.
  • FREO – Freie Ensembles und Orchester in Deutschland e.V.
  • Forum Musik Festivals
  • GNM – Gesellschaft für Neue Musik e.V.
  • Hans-Flesch-Gesellschaft – Forum für akustische Kunst e.V.
  • IFM – Initiative Freie Musik Köln e.V.
  • IG Jazz Berlin e.V.
  • inm – initiative neue musik berlin e.V.
  • KJK – Kölner Jazzkonferenz e.V.
  • LAFT Berlin – Landesverband freie darstellende Künste Berlin e.V.
  • Landesmusikrat Berlin e.V.
  • Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen Anhalt und Thüringen e.V.
  • TiÖR – Bundesverband Theater im öffentlichen Raum e.V.
  • VAM – Vereinigung Alte Musik in Deutschland
  • VdHR – Verband der HörspielRegie e.V.
  • VDP – Verband Deutscher Puppentheater e.V.
  • ZAMUS / Kölner Gesellschaft für Alte Musik e.V.
  • ZMB – Zeitgenössisches Musiktheater Berlin e.V.
  • ZTB – Zeitgenössischer Tanz Berlin e.V.

Bundes- und Landesverbände aus den Bereichen Musik und Darstellende Kunst fordern die Bundesregierung auf,

die Regularien bei den bestehenden Corona-Hilfen an den tatsächlichen Bedarf von Soloselbständigen aller Branchen anzupassen und insbesondere die spezifischen Lebens- und Arbeitsrealitäten freier Künstler*innen zu berücksichtigen.

Um freischaffenden Künstler*innen über die Krise zu helfen und sie dabei zu unterstützen, ihre professionelle berufliche Existenz weiterzuführen, müssen außerdem mittelfristig wirksame und passgenaue Konzepte entwickelt werden, die über den Zeithorizont der Soforthilfen hinaus gedacht werden und der spezifischen Situation der Künstler*innen aus diesen Bereichen als auch den
entsprechenden Infrastrukturen entsprechen.

Es ist richtig, die kulturelle Infrastruktur zu stützen, das allein reicht aber nicht aus. Kultur wird von Menschen gemacht. Wenn die kulturelle Vielfalt in Deutschland erhalten werden soll, dann müssen auch die ausübenden Künstler*innen individuell in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit professionell fortzusetzen.

Die kulturelle Vielfalt Deutschlands wird international als beispielhaft angesehen. Sie besteht im selben Maße aus den Kulturinstitutionen wie aus den Freien Künsten und all ihren Akteuren. Die Soloselbständigen in den Bereichen Kunst und Kultur sind wichtige Protagonist*innen des kulturellen Lebens und zivilgesellschaftlicher Entwicklungen. Sie sind kritisches Korrektiv, prägen die Kultur der Metropolen und schaffen ein hochwertiges kulturelles Angebot an Orten – auch und besonders in der Fläche – die durch die Institutionen nicht erreicht werden.

Bitte übergehen Sie die Freie Kunst- und Kulturszene nicht! Handeln Sie, bevor ein irreparabler Schaden
entsteht und ein Grundpfeiler der kulturellen Vielfalt unwiderruflich massiv beschädigt wird!

 


 

Inhaltsverzeichnis

Soforthilfen in einzelnen Ländern – Vorbild für bundeseinheitliche Regelung

Wirtschaftshilfen und Sozialschutzpaket sind für Künstler*innen nicht die richtige Kombination zur Sicherung der beruflichen Existenz

BEGRÜNDUNG

1. Arbeitsrealitäten freischaffender Künstler*innen
1.1. Komplexe und vielschichtige Arbeitsmodelle unter prekären Bedingungen
1.2. Unternehmerische Eigenständigkeit

2. Die bisherige Konzeption der Soforthilfen berücksichtigt die Arbeitsrealitäten von Künstler*innen nicht
2.1 . In der Krise : Einkommenslos ≠ Arbeitslos
2.2. Betriebliche Relevanz von Lebenshaltungskosten
2.3. Notwendigkeit von Investitionen in der Krise
2.4. Kredite und Liquiditätshilfen für laufende Verbindlichkeiten

3. Warum das Sozialschutzpaket nicht das geeignete Modell ist, freischaffenden Künstler*innen in der Krise zu helfen
3.1. Grundsicherung verhindert unternehmerische Eigenständigkeit
3.2. Zuflussprinzip
3.3. Vermögen
3.4. Bedarfsgemeinschaften
3.5. Zuverdienstgrenze
3.6. Umsetzung Sozialschutzpaket in der Praxis, Standortfaktor
3.7. Probleme für internationale Künstler*innen in Verbindung mit ALG II

4. Verunsicherung durch fehlende Informationen zu Soforthilfen und Sozialschutzpaket

5. Ungleichbehandlung von freischaffenden Künstler*innen und anderen Berufsgruppen in der Krise

6. Wahrnehmung von freischaffenden Künstler*innen

FAZIT 

FORDERUNGEN

 


 

Soforthilfen in einzelnen Ländern – Vorbild für bundeseinheitliche Regelung

Für zahlreiche Künstler*innen gab es schnelle Hilfe in Form verschiedener Hilfsprogramme, die von den Ländern initiiert und finanziert wurden. Durch diese meist unkomplizierten und bemerkenswert schnellen Soforthilfen konnte eine akute Existenzbedrohung für viele Künstler*innen vorerst verhindert und ihnen der dringend notwendige Raum verschafft werden, konstruktiv zu sortieren, wie die berufliche Existenz in der nahen Zukunft weitergeführt werden kann.
Insofern sind die Hilfen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und insbesondere das Berliner Prozedere als beispielhaft anzusehen, wie soloselbständigen Künstler*innen passgenau geholfen werden kann. Entscheidender Faktor ist, dass Einnahmeausfälle kompensiert, der individuelle Lebensunterhalt bestritten, einmalige Investitionen getätigt und damit die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Zuschussempfänger*innen erhalten werden kann.

ABER:

Nicht alle Künstler*innen konnten von den Landeshilfen profitieren. Die Mittel in Nordrhein-Westfalen und Berlin waren innerhalb weniger Tage ausgeschöpft.

Die ersten Soforthilfen der Länder werden nicht ausreichen. Insbesondere für die Bereiche Musik und Darstellende Kunst hat die aktuelle Situation schon jetzt Auswirkungen bis weit ins nächste Jahr hinein.

Es gibt eine extreme Ungleichbehandlung je nach Wohnort. Eine bundesweit synchrone Lösung ist notwendig.

 

Wirtschaftshilfen und Sozialschutzpaket sind für Künstler*innen nicht die richtige Kombination zur Sicherung der beruflichen Existenz

Aus unserer Sicht ist die Herangehensweise der Bundesregierung fatal, auch im Kulturbereich auf Soforthilfen, die auf die Wirtschaft zugeschnitten sind, zu setzen und gleichzeitig soloselbständige Künstler*innen auf das Sozialschutzpaket zu verweisen – ein Gesetz, das den Zugang zur Grundsicherung/ALG II erleichtert.

Dass die Kombination aus Wirtschaftshilfen und Sozialschutzpaket als Hilfe zur Sicherung der beruflichen Existenz in der Krise von nahezu allen Kunst- und Kulturverbänden heftig kritisiert wird, lässt sich nicht darauf zurückführen, dass Künstler*innen insbesondere die Grundsicherung prinzipiell oder wegen emotionaler Hürden ablehnen und deshalb eine Sonderstellung fordern würden – es gibt vielmehr zahlreiche sachliche Gründe.

Soforthilfen

Über die wirtschaftlichen Soforthilfen können ausschließlich laufende Betriebskosten geltend gemacht werden. Das hilft einzelnen wenigen Akteuren und Ensembles, die akut mit Liquiditätsengpässen zu kämpfen haben, die laufende Kosten betreffen. Bei den allermeisten soloselbständigen Künstler*innen der Freien Kunst- und Kulturszene greifen die Hilfen allerdings nicht, weil sie kaum relevante laufende Verbindlichkeiten wie gewerbliche Mieten, Pachten, oder Leasing-Aufwendungen haben.

Hinzu kommt, dass einmalige Investitionen, die besonders jetzt in der Krise dringend notwendig sind, nach aktueller Informationslage nicht geltend gemacht werden können. Nachweislich zur Weiterführung der beruflichen Existenz notwendige einmalige Investitionen müssen aber als Teil der Betriebskosten gewertet werden.

Grundsicherung

Der erleichterte Zugang zur Grundsicherung ist in der Krise ein hilfreiches Instrument und kann individuell eine Lösung in einer absoluten Notsituation darstellen. Für die Mehrheit der professionellen soloselbständigen Künstler*innen allerdings ist die Grundsicherung nicht das
passende Instrument zur Sicherung der beruflichen Existenz, da es diese strukturell gefährdet. Gleiches gilt für Solo-Selbständige aus vielen anderen Branchen. Dies wird im Verlauf dieses Papiers ausführlich begründet.

Ungleichbehandlung

Die Bundesregierung hat über Zuschüsse, Ausgleichszahlungen und erweiterte Kurzarbeit-Regelungen ein Hilfspaket geschnürt, um die berufliche Existenz verschiedener Berufsgruppen in der Krise zu sichern.

Eine Ungleichbehandlung freischaffender Künstler*innen im Vergleich mit anderen Berufsgruppen – auch mit dem vorrangig abgesicherten institutionellen Kulturbetrieb – ist hier evident. Im Rahmen von staatlichen Soforthilfen wäre jedoch eine Gleichbehandlung von abhängig Beschäftigten und selbständig Erwerbstätigen angemessen.

BEGRÜNDUNG

 

1. Arbeitsrealitäten freischaffender Künstler*innen

Um deutlich zu machen, warum die bestehenden Hilfen für freischaffende Künstler*innen bisher nicht zielführend sind, müssen die spezifischen Arbeitsrealitäten – besonders in den Bereichen Musik und darstellende Kunst – betrachtet werden, deren Fragilität sich in dieser Krise gerade auf brutale Weise offenbart.

1.1. Komplexe und vielschichtige Arbeitsmodelle unter prekären Bedingungen

Das Berufsbild freischaffender Musiker*innen und darstellender Künstler*innen ist vielschichtig, es setzt sich zusammen aus hybriden und ineinander verwobenen Modellen zwischen Auftragnehmerschaft, der Tätigkeit als Interpret*in, Komponist*in, Ensembleleiter*in, Dramaturg*in, Produzent*in, Verlagsinhaber*in, Labelbetreiber*in, und Pädagog*in. In all diesen Zusammenhängen bewegen sich die Soloselbständigen in einem System fragiler Strukturen, zwischen Projektförderungen, Honorarverträgen und befristeten Gast-Engagements an Institutionen – all dies fast immer in prekärer Finanzierung und mit unsteten Honorarflüssen. Projekte und Engagements finden im In- und Ausland statt, Projektanfragen erfolgen sowohl kurzfristig als auch mehrere Monate im Voraus.

Aufgrund jahrzehntelanger prekärer Arbeitsbedingungen und dauerhaft unterfinanzierter Strukturen ist es für wenige Akteure möglich, Rücklagen zu bilden. Das gilt auch für überdurchschnittlich erfolgreiche Künstler*innen und Ensembles mit internationalen Karrieren.

1.2. Unternehmerische Eigenständigkeit

Professionelle freischaffende Musiker*innen und darstellende Künstler*innen sind hoch qualifizierte Spezialist*innen, die in einem Umfeld permanent prekärer Arbeitsbedingungen als Soloselbstständige unternehmerisch tätig sind.

Sie agieren flexibel und investieren häufig proaktiv. Dabei verzeichnen sie zwar durchschnittlich sehr niedrige Gewinne – hinter den niedrigen Einkommen der Steuerbescheide und KSK-Statistiken verbergen sich aber oft viel höhere Umsätze. Diese Einkünfte müssen vielfach direkt reinvestiert werden, um kostenintensive Vorleistungen oder konkrete Investitionen für nächste Projekte zu tätigen.

Der “unternehmerische Erfolg” von Künstler*innen bemisst sich wegen der prekären Finanzierung im künstlerischen Bereich in den allermeisten Fällen nicht direkt im Sinne von finanziellen Profit im Verhältnis zu den finanziellen Investitionen, sondern vor allem auch in Form von künstlerischem Erfolg und Anerkennung – Aspekte, die sich zwar monetär nicht bemessen lassen, aber langfristig überhaupt erst eine erfolgreiche Karriere ermöglichen.

Diese Form der Selbstausbeutung ist vielfach notwendig, um dem zunehmenden Druck der kompetitiven Mechanismen des Kulturbetriebs standzuhalten. Dieser Missstand war schon vor der Krise problematisch, in der Krise führt er zur konkreten Existenzbedrohung.

Der größte Teil der Arbeit von freischaffenden Musiker*innen und darstellenden Künstler*innen besteht aus täglichem Üben, Planung, Recherche, Weiterbildung und intensiver Vorbereitung auf Projekte. Diese vorbereitenden kreativen Arbeiten bilden die Keimzelle für jeden Produktionsprozess und sind essentiell, um ein hohes künstlerisches Niveau zu sichern und auf dem Markt bestehen zu können. Als Grundlage für jegliche künstlerische Wertschöpfung sind sie betrieblich relevant.

Eine finanzielle Honorierung dieser Arbeit, die täglich viele Stunden in Anspruch nimmt, findet nicht statt, sie wird als immaterielle Investition vorausgesetzt. Die Arbeitsstunden werden – anders als bei den meisten nicht-künstlerisch tätigen Selbständigen – nicht beziffert und in einer betrieblichen Gewinn-Verlust-Rechnung berechnet. Ein Honorar wird lediglich für das Konzert bzw. die Durchführung eines Projekts gezahlt.

 

2. Die bisherige Konzeption der Soforthilfen berücksichtigt die Arbeitsrealitäten von freischaffenden Künstler*innen nicht

2.1. In der Krise: Einkommenslos ≠ Arbeitslos

Vorbereitende Arbeiten sind integraler Bestandteil des Berufs und müssen zwingend auch während der aktuellen Veranstaltungsverbote aufrecht erhalten werden.

Freischaffende Musiker*innen und darstellende Künstler*innen sind also in der Krise weder arbeitslos noch arbeitssuchend. Sie können lediglich wegen der angeordneten Schutzmaßnahmen den Teil ihrer Arbeit nicht ausüben, der finanziell honoriert wird.

2.2. Betriebliche Relevanz von Lebenshaltungskosten

Die betriebliche Existenz setzt sich wie beschrieben zusammen aus einem großen Anteil unbezahlter Vorarbeit und einem kleinen Anteil, in dem sich diese Vorarbeit monetarisiert.

Soloselbständige Künstler*innen und ihre kreative Arbeit sind der “Betrieb”, somit sind ihre Lebenshaltungskosten als betrieblich relevant zu interpretieren.

Dieser Tatsache müssen die Corona-Soforthilfen, die ausdrücklich zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz auch von Soloselbständigen eingerichtet worden sind, Rechnung tragen.

2.3 Notwendigkeit von Investitionen in der Krise

Gerade in der Krise ist es essentiell, dass Künstler*innen handlungsfähig bleiben, um auch in der Zukunft arbeitsfähig zu sein.

Dazu gehört, dass akut notwendig gewordene Investitionen in Digitalisierung sowie andere einmalige Investitionen wie z.B. Audioproduktionen, Akquisetätigkeit, Beauftragung von Agenturen, wenn sie nachweislich zur Weiterführung der beruflichen Existenz notwendig sind, im Rahmen der Soforthilfen geltend gemacht werden können.

2.4. Kredite und Liquiditätshilfen für laufende Verbindlichkeiten

Kredite können wegen der prekären Arbeitsbedigungen perspektivisch nicht zurückgezahlt werden. Liquiditätshilfen für laufende Ausgaben greifen in den meisten Fällen nicht. Viele soloselbständige Künstler*innen haben nur geringe laufenden Verbindlichkeiten, weil sie meistens keine betrieblichen Mieten haben und wegen der prekären Arbeitsbedingungen regelmäßige Kosten in relevanter Höhe vermeiden.

 

3. Warum das Sozialschutzpaket nicht das geeignete Modell ist, freischaffenden Künstler*innen in der Krise zu helfen

Das Sozialschutzpaket ist ein neues Gesetz, das den Zugang zur Grundsicherung (ALG II) erleichtert.

Folgende Probleme ergeben sich insbesondere für professionelle soloselbständige Künstler*innen im Zusammenhang mit mehreren – auch im Rahmen des Sozialschutzpakets weiterhin bestehenden – Regularien der Grundsicherung:

3.1. Grundsicherung verhindert unternehmerische Eigenständigkeit

Freischaffende Musiker*innen nehmen erfahrungsgemäß nur in seltenen Fällen Grundsicherung in Anspruch, selbst wenn sie dazu berechtigt sind. Ein Grund dafür ist, dass ihre unternehmerische Tätigkeit durch einen ALG II-Bezug und die damit verbundenen Auflagen nur stark eingeschränkt möglich wäre oder sogar verhindert werden würde.

Es ist unklar, wie für die Fortführung der beruflichen Existenz notwendige Betriebsausgaben (z.B. einmalige Investitionen, Mittel für Akquise) bewertet werden in der aktuellen Situation, in der aufgrund der Konzertabsagen gar kein Einkommen generiert werden kann, und ob in dieser Situation den Leistungsempfänger*innen der Status als Selbständige/r überhaupt anerkannt wird.

Bei Leistungsempfänger*innen mit anerkannter selbständiger Tätigkeit können Betriebsausgaben geltend gemacht werden, sofern sie nicht offensichtlich unangemessen sind. Hier ergeben sich dennoch folgende Probleme für Künstler*innen:

  • Die Entscheidung über die Angemessenheit investiver Ausgaben obliegt einzelnen Sachbearbeitenden, die keine künstlerische Expertise haben.
  • Hinzu kommt, dass Investitionen im Kunstbereich vielfach nicht rentabel in wirtschaftlichem Sinn erscheinen, aber notwendig zur Fortführung der professionellen künstlerischen Existenz sind. Vorleistungen wie beispielsweise PR-Maßnahmen, Audio- und Video-Produktionen und Akquisetätigkeit bedeuten für die Künstler*innen punktuell hohe Investitionen. Viele dieser Investitionen schlagen sich erst nach ein bis zwei Jahren monetär nieder. CD-Veröffentlichungen beispielsweise bringen in den meisten Fällen keinen finanziellen Gewinn, sind aber trotzdem notwendig, um auf dem Markt präsent zu sein.
  • Bewilligungen bedürfen erfahrungsgemäß längerer Bearbeitungszeiten. Die Anschaffung von Instrumenten, Zubehör, technischen Geräten und sonstigen Materialien ist aber insbesondere in der Krise kurzfristig notwendig und kann nicht auf Antragsbewilligung warten. Es braucht gerade jetzt Investitionen und schnelle Handlungsfähigkeit, damit neue Modelle entwickelt werden können und um mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben.

3.2. Zuflussprinzip

Im Bereich Musik und Darstellende Künste manifestieren sich Einkünfte fast immer zeitversetzt, manche Zuflüsse sind zweckgebunden.

  • Tantiemen

Tantiemen von GEMA und GVL beziehen sich auf Leistungen, die bereits in vergangenen Jahren erbracht worden sind. Die Ausschüttungen erfolgen unregelmäßig. Bei Zufluss im Bezugszeitraum von ALG II sind diese Einnahmen “verloren”, da sie auf die ALG II-Bezüge angerechnet werden, obwohl sie lang vor dem ALG II-Bezugszeitraum erwirtschaftet wurden.

  • Honorare

Häufig werden auch Honorare – manchmal über Monate – zeitversetzt ausbezahlt. Bei einem Zufluss im Bezugszeitraum von ALG II werden diese Honorare auf die ALG II-Bezüge angerechnet. Das bedeutet einen Verlust von Einnahmen für Leistungen, die vor dem Bezug von ALG II erbracht worden sind.

  • Ausfallhonorare

Viele Veranstalter*innen warten aktuell die Entwicklungen ab und halten sich zurück mit einer Entscheidung, abgesagte Veranstaltungen zu verlegen oder alternativ anteilige Ausfallhonorarzahlungen zu leisten. Diese Ausfallhonorare beziehen sich teilweise auf Veranstaltungen, die vor dem ALG II-Bezugszeitraum stattgefunden hätten. Auch hier entsteht bei Anrechnung ein Verlust.

  • Stipendien, Preise

Die künstlerische Arbeit soloselbständiger Künstler*innen finanziert sich auch aus personalisierten Stipendien und Preisen, die im Rahmen von unvorhersehbaren Jury-Entscheidungen vergeben werden. Stipendien sind fast immer ergänzend konzipiert und ersetzen nicht komplette Lebenshaltungskosten, sondern ermöglichen künstlerischen Freiraum oder konkrete singuläre Investitionen in individuelle Projekte. Preise sind eine Honorierung künstlerischer Arbeit über mehrere Jahre oder ehren ein Lebenswerk.
Es stellt sich aktuell so dar, dass auch diese Art von Einnahmen auf die ALG II-Bezüge angerechnet werden, damit wirkungslos werden und das eigentliche Ziel verfehlen.

  • Projektförderung

Projekte der freien Musikszene werden häufig von Einzelakteuren angestoßen, die Anträge stellen und für die Durchführung eine personalisierte Projektförderung erhalten. Diese Mittel werden von den Projekt-Antragsteller*innen nur verwaltet und weitergegeben in Form von Honoraren und anderen Ausgaben. Dies passiert häufig zeitverzögert und ist schon an sich ein großer bürokratischer Aufwand. Wenn ein ALG II-Bezieher gleichzeitig Empfänger einer Projektförderung ist, verursacht eine Integration der Projektabrechnung in die ALG II-Abrechnung potentiell große bürokratische Probleme, insbesondere wenn sich die Abrechnungszeiträume überschneiden.

  • Soforthilfen, Corona-Spenden

Laut SGB II bzw. den Weisungen zum Sozialschutzpaket sind die Liquiditätshilfen des Bundes nicht auf das ALG II anzurechnen, da es sich um eine zweckgebundene Einnahme handelt, “deren Zweck sich von dem der Leistungen nach dem SGB II unterscheidet” (Sicherung des Lebensunterhalts). Wie es sich aber mit den unterschiedlich konzipierten Soforthilfen aus Landesmitteln, die zum Teil auch zur Deckung des Lebensunterhalts verwendet werden dürfen, und Nothilfen von Gema, GVL, DOV, Orchesterstiftung usw. verhält, ist ungeklärt. Es gibt bereits erste Berichte, nach denen diese Zahlungen in der Praxis auf ALG II angerechnet werden.

3.3. Vermögen

Ein Vermögen von über 60.000€ gilt als “erhebliches Vermögen”, ab dem ein Bezug von ALG II nicht möglich ist.

Viele ältere Musiker*innen und Soloselbständige aller Branchen haben selbst bei geringen Einnahmen über viele Jahre gezielt Rücklagen zur Altersvorsorge gebildet. Mit solchen Rücklagen sind sie unter Umständen vom ALG II-Bezug ausgeschlossen und so gezwungen, ihre Altersvorsorge aufzubrauchen. Freischaffende Musiker*innen sind tendenziell von Altersarmut bedroht, da geringe Renten zu erwarten sind und müssen privat vorsorgen.

Auch wenn in diesem Fall keine akute Notsituation gegeben ist, wird hier eine Ungleichbehandlung deutlich. Bei unterstützenden Maßnahmen für andere Berufsgruppen, z.B. bei Arbeitnehmern in Kurzarbeit oder im Fall von Ersatzzahlungen für andere Berufsgruppen,
spielen Ersparnisse keine Rolle.

3.4. Bedarfsgemeinschaften

Künstler*innen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, wird ALG II abhängig von der Höhe des Einkommens bzw. Vermögens eines Partners oder einer Partnerin gekürzt oder eben auch gar nicht gewährt. Eine Kompensation von unverschuldeten, krisenbedingten Honorarausfällen wird so dem Partner oder der Partnerin überlassen, die Hilfsleistung wird “privatisiert”.

Bei unterstützenden Maßnahmen für andere Berufsgruppen hingegen, z.B. bei Arbeitnehmern in Kurzarbeit oder im Fall von Ersatzzahlungen für andere Berufsgruppen, spielen Einkommen und Ersparnisse von Lebenspartnern keine Rolle.

3.5. Zuverdienstgrenze

Das Einkommen aller freischaffenden Musiker*innen ist in Folge des Shutdowns von einem Tag auf den anderen komplett weggebrochen. Dies betrifft Musiker*innen und darstellende Künstler*innen aller Einkommensklassen. Die Fallhöhe ist demzufolge sehr unterschiedlich.

Die Akteure haben, anders als aktuell beispielsweise Arbeitnehmer in Kurzarbeit, bei einem Bezug von ALG II wegen der bestehenden Zuverdienstgrenze nicht die Möglichkeit, durch kurzfristige alternative Einkommensquellen ausreichend hinzuzuverdienen, um so aus eigener Kraft die Differenz zwischen der staatlichen Hilfe und dem bisherigen Lebensstandard auszugleichen.

3.6. Umsetzung Sozialschutzpaket in der Praxis, Standortfaktor

Erfahrungsgemäß waren die Jobcenter besonders in Großstädten auch bereits vor der Krise überlastet. Die Sachbearbeitenden arbeiten nun zusätzlich mit täglich aktualisierten Weisungen.

  • Besonders in Großstädten ist es kaum möglich, bei Fragen persönlichen Kontakt herzustellen, E-Mails werden erst nach Tagen beantwortet.
  • Berichte von Künstler*innen und auch von Sachbearbeitenden belegen, dass noch keine ausreichenden Informationen über das Sozialschutzpaket vorliegen, z.B. was die Anrechnung von Soforthilfen des Bundes betrifft. Bezüglich der verschiedenen Soforthilfen der Länder scheinen keine verbindlichen Regelungen zu bestehen.
  • Es gibt große Unsicherheit und Zweifel, ob Anträge korrekt bewilligt und verbindliche Auskünfte gegeben werden können.
  • Es zeichnet sich ab, dass Leistungen mit großer Verzögerung ausgezahlt werden.

3.7. Probleme für internationale Künstler*innen in Verbindung mit ALG II

Das Aufenthaltsrecht internationaler in Deutschland arbeitender Künstler*innen aus Nicht-EU-Staaten ist mittelfristig gefährdet, da sie keinen Anspruch auf ALG II haben.
Trotz teilweise bereits getroffener Sonderregelungen gibt es eine große Unsicherheit für die betroffenen Künstler*innen, ob die Regelungen bis zur vollen Wiederaufnahme ihrer selbständigen Tätigkeit aufrecht erhalten werden – dies ist besonders relevant vor dem Hintergrund, dass die Krise im Bereich Musik und darstellende Künste absehbar länger andauern wird als in anderen Bereichen.

Alle oben genannten Probleme zerstören fragile aber funktionierende Lebensmodelle, die sich selbständige Künstler*innen über Jahre aufgebaut haben. Deshalb ist das Modell ALG II in der Krise nicht die Hilfe, die Künstler*innen brauchen. Hilfreich wäre eine unkomplizierte passgenaue Unterstützung über die Soforthilfen.

 

4. Verunsicherung durch fehlende Informationen zu Soforthilfen und Sozialschutzpaket

Schon jetzt zeigt sich, dass schon ausgezahlte Soforthilfen nicht genutzt werden, weil die Empfänger wegen Unklarheiten bezüglich der Regularien Angst haben, sich unwissentlich des Subventionsbetrugs schuldig zu machen. In Berlin beispielsweise wurden Summen in relevanter Höhe bereits zurückgezahlt. Diese Mittel sind jetzt für tatsächlich Berechtigte verloren.

Soforthilfen

  • Welche Rolle spielen Vermögensrücklagen, Altersvorsorge und Sachwerte bei der Beantragung von Soforthilfen?
  • Wie ist der Begriff “Betriebskosten” im Bezug auf künstlerische Tätigkeit genau auszulegen?
  • Welche Nachweise sind nachträglich erforderlich?
  • Wie sind die verschiedenen Hilfen und andere Einkünfte miteinander zu verrechnen? (Bundesmittel, Landesmittel, Spendenzahlungen, Arbeitsstipendien, Corona-Stipendien, …)
  • Welche Konsequenzen hat ein hybrider Erwerbsstatus (angestellt und selbständig) für den
    Anspruch auf der Soforthilfen von Bund und Ländern?

Sozialschutzpaket/ALG II

  • Wie wirken sich die Soforthilfen aus Landesmitteln, die eine Deckung von Lebenshaltungskosten nicht ausschließen, auf einen Bezug von ALG II aus?
  • Wie wirken sich Zuwendungen aus Nothilfefonds (GVL, GEMA, DOS, DOV usw.) aus?

 

5. Ungleichbehandlung von freischaffenden Künstler*innen und anderen Berufsgruppen in der Krise

Unterstützende Maßnahmen wie Ausgleichszahlungen und Kurzarbeit sind in der Krise wichtige Instrumente zur Sicherung beruflicher Existenzen in vielen Branchen. Freischaffende Künstler*innen werden verwiesen auf das Sozialschutzpaket und damit auf ALG II.

Kurzarbeit wird über die Arbeitslosenversicherung finanziert. Soloselbständige Künstler*innen haben in der Regel keinen Zugang zur Arbeitslosenversicherung und deswegen folgerichtig auch keinen Anspruch auf entsprechende Absicherung. Auch wenn hier ein direkter Vergleich zur Kurzarbeiterregelung systematisch nicht passt, ist dennoch eine massive Ungleichbehandlung evident.

  • Bei Ausgleichszahlungen und bei der Berechnung und Gewährung von Kurzarbeitergeld spielt das Einkommen und Vermögen von Lebenspartner*innen keine Rolle. ALG II Bezüge hingegen werden, abhängig von der Höhe des Einkommens bzw Vermögens eines Partners oder einer Partnerin, gekürzt oder eben auch gar nicht gewährt (Bedarfsgemeinschaft).
  • Für eigene Ersparnisse ab 60.000€ gilt dasselbe: nicht relevant für Ausgleichszahlungen oder Kurzarbeit, aber Ausschlusskriterium für ALG II.
  • Sämtliche Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeiter*innen werden aktuell erstattet. Freischaffende Künstler*innen hingegen müssen weiterhin ihren Anteil an den SV-Beiträgen erbringen (sofern sie nicht ALG II beziehen). Sie können zwar aktuell ihre SV-Beiträge über eine Meldung bei der Künstlersozialkasse senken, allerdings bedeutet das in der Konsequenz Nachteile bzgl. der Berechnungsgrundlage für Krankengeld, Rentenanwartschaften und möglicherweise auch dem Zugang zur geplanten Grundrente. Für Soloselbständige, die nicht in der KSK sind, stellt sich dieses Problem in verschärfter Form.
  • Für freischaffende Künstler*innen mit Kindern gibt es keinerlei Hilfen ähnlich den Lohnausfallzahlungen für Eltern, deren Kinder wegen Kita- und Schulschließungen ganztägig zu Hause betreut werden müssen. Soloselbständige Eltern sind besonders stark belastet. Sie müssen ihre Kinder betreuen und unter erhöhtem Druck und – wie oben ausgeführt – unhonoriert weiterarbeiten, um ihre berufliche Existenz über die Krise zu retten (Üben, Akquise und Projektplanung fürs nächste Jahr).

 

6. Wahrnehmung von freischaffenden Künstler*innen

In der Krise wird aktuell deutlich, dass zahlreiche politische Entscheidungsträger*innen ein offenes Ohr für die Anliegen von Verbänden und Akteuren der Freien Künste haben und sich dies konkret in politischen Entscheidungen und Positionierungen widergespiegelt hat.

Es verfestigt sich allerdings auch der Eindruck, dass in der Krise an einigen Stellen die Bedeutung der Kunst im allgemeinen und insbesondere die der Freien Künste – speziell im Vergleich mit dem abgesicherten institutionellen Kulturbetrieb – nicht in angemessenem Umfang anerkannt wird.

Die Akteure der Freien Künste sind aber gleichermaßen wie die Institutionen unverzichtbarer und lebendiger Teil des kulturellen Lebens – auch und insbesondere in ihrer Funktion als Motor künstlerischer Innovation, die oft in freien Strukturen abseits der großen Häuser stattfindet.

Hinzu kommt, dass gerade die freien Akteure ein hochwertiges Angebot an Kultur und kultureller Bildung schaffen und Menschen an Orten ansprechen die durch die Institutionen nicht erreicht werden – auch und besonders in der Fläche.

Einige Kunstformen – besonders Nischenkünste – sind ausschließlich in Freien Strukturen repräsentiert. Gehen diese Strukturen verloren, werden ganze Kunstsparten und Genres weit zurückgeworfen.

Die Freien Künste leisten einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt dieses Landes und müssen dementsprechend in ihren Strukturen und individuell unterstützt werden.

 

FAZIT

1. Eine Kombination aus reinen Wirtschaftshilfen und dem Sozialschutzpaket ist nicht der zielführende Weg, soloselbständige Musiker*innen über die Krise zu bringen. Die Wirtschaftshilfen greifen größtenteils nicht. ALG II drängt die Akteure aus ihrer professionellen unternehmerischen Existenz und erschwert so die Perspektive auf eine adäquate Anknüpfung nach der Krise.

 

2. Für den Kulturbetrieb sind durch die Untersagung von Veranstaltungen und sehr unsichere Öffnungsszenarien bereits jetzt massive Folgeschäden bis weit ins nächste Jahr entstanden.

Schutzmaßnahmen wie Veranstaltungsverbote und Reisebeschränkungen müssen voraussichtlich für lange Zeit weiter aufrecht erhalten werden. Der Konzert- und Theaterbetrieb wird absehbar erst deutlich später wieder aufgenommen werden als der Betrieb in anderen Branchen (first in last out).

Diese Krise wird sich für freischaffende Akteure aus den Bereichen Musik und Darstellende Kunst in vielfältiger Weise auf die nächsten Jahre auswirken, vor allem auch hinsichtlich zu erwartender Kürzungen im Kulturbereich in den kommenden Haushalten. Es ist zu befürchten, dass ein großer Teil der Akteure und der kleinen Strukturen in der Fläche auf der Strecke bleibt. Dieser Verlust an Strukturen und individuellem künstlerischem Potential wird sich nicht nach Qualitätskriterien vollziehen und in der Konsequenz die kulturelle Vielfalt gefährden. Die Kulturlandschaft wird eine gänzlich andere sein.

 

3. Durch die Nichteinbeziehung der Kleinteiligkeit und Vielschichtigkeit der Arbeitsrealitäten von soloselbständigen Künstler*innen – insbesondere aus dem Bereich Musik und Darstellende Kunst – in die Konzeption der Hilfsprogramme wird das Potential der Freien Kunst- und Kulturszene nachhaltig und substanziell gefährdet.

Es entsteht der Eindruck, dass den Akteuren der Freien Künste eine geringere Wertigkeit zugesprochen wird – einerseits im Vergleich mit den Kolleg*innen in den vergleichsweise gut abgesicherten Kulturinstitutionen und andererseits im Vergleich mit anderen Berufsgruppen, die durch Ausgleichszahlungen oder das Instrument Kurzarbeit abgesichert werden.

Künstler*innen fordern keinen Sonderstatus, sondern eine adäquate Berücksichtigung ihrer spezifischen Arbeitsrealitäten in all ihrer in diesem Papier umfänglich beschriebenen Vielschichtigkeit. Wie in allen Branchen gibt es in den Bereichen Musik und Darstellende Kunst solche spezifischen Arbeitsrealitäten und es ist zwingend notwendig, dass die Soforthilfen all diesen unterschiedlichen Spezifika gerecht werden.

Künstler*innen fordern keine Besserstellung sondern eine Gleichbehandlung von selbständig Erwerbstätigen und abhängig Beschäftigten.

 

FORDERUNGEN
Aus den dargestellten Argumenten ergeben sich konkrete Forderungen:

1.) Dringend notwendig ist die Öffnung der Soforthilfeprogramme des Bundes, um die besonderen Arbeitsrealitäten von Soloselbständigen aller Branchen und insbesondere von freischaffenden Musiker*innen und anderen Kunst- und Kulturschaffenden zu berücksichtigen, indem ein Unternehmergehalt bzw. eine pauschale Summe zur Deckung der Lebenshaltungskosten inkludiert wird im Sinne von beruflicher  Existenzsicherung der unternehmerisch tätigen Selbstständigen. Diese Forderung ergibt sich nicht daraus, dass die Kunst eine Sonderrolle für sich in Anspruch nähme, sondern beruht auf sachlichen Gründen.

2.) Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass einmalige und für die Weiterführung der beruflichen Existenz notwendige Investitionen auch von den Soforthilfen abgedeckt werden. Selbständige müssen gerade in der Krise in die Lage versetzt werden, konstruktiv und kreativ mit der Situation umzugehen. Dazu sind besondere Investitionen notwendig, um später weiterhin arbeitsfähig zu sein.

3.) Außerdem müssen passgenaue mittelfristige Hilfen entwickelt werden, die über den kurzfristigen Zeithorizont der Soforthilfen hinausgehen. Besonders in der Phase der Krise, in der andere gesellschaftliche Gruppen bereits den Weg in die Normalität zurückfinden, dürfen Künstler*innen, die deutlich länger betroffen sein werden – insbesondere aus den Bereichen Musik und Darstellende Kunst – nicht auf der Strecke bleiben.

Die Länder müssen in die Lage versetzt werden, hier adäquate Lösungen nach synchronen Regelungen entwickeln zu können. Die Verantwortlichkeiten dürfen dabei nicht zu Lasten der soloselbständigen Künstler*innen zwischen Bund und Ländern hin- und hergespielt werden.

Mittelfristige Hilfen wären denkbar beispielsweise in Form eines strukturellen Sicherheitsmechanismus für alle Soloselbständigen in Form von pauschaler Unterstützung mit Zuverdienstmöglichkeit – ähnlich dem vom Deutschen Musikrat geforderten temporären Grundeinkommen für Künstler*innen – oder ein Mechanismus, der sich an repräsentativen Vergleichszahlen aus dem Vorjahr orientiert.

Eine Form von Kompensation konkret ausgefallener Einnahmen ist nicht sinnvoll, da bereits zu Beginn der Krise die Veranstaltungs-Akquise praktisch gestoppt wurde, für die zweite Jahreshälfte keine neuen Verträge mehr geschlossen wurden und diese Ausfälle somit auch nicht beziffert werden können.

4.) Die von der Kulturstaatsministerin angeregte Einrichtung von Fördertopfen für freie Gruppen und Orchester ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um größere freie Strukturen durch die Krise zu bringen. Davon werden viele soloselbständige Künstler*innen profitieren. In gleicher Weise müssen aber dringend Lösungen gefunden werden für die vielen Einzelkünstler*innen, die nicht an Gruppen und Klangkörper dieser Art gebunden sind.

5.) Finanzielle Hilfen für Eltern, die ihre Kinder wegen Kindergarten- und Schulschließungen zu Hause betreuen müssen, müssen auch für Soloselbständige zugänglich sein.

 

IMPRESSUM

Berlin, 11.5.2020

Autorinnen:
Kathrin Pechlof, Geschäftsführung IG Jazz Berlin: kathrin.pechlof@ig-jazz-berlin.de
Moni Fischaleck, Vorstand Vereinigung Alte Musik Berlin: moni.fischaleck@v-a-m.org

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